Faire la magistrature au Bénin. Karrierewege, Selbstbilder und die Aushandlung von Unabhängigkeit der beninischen Richter- und Staatsanwaltschaft (1894-2016)

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Abstract

Seit 2012 streiken die Richter*innen und Staatsanwält*innen (magistrats) in Benin immer wieder. Sie protestieren gegen Korruptionsvorwürfe, Strafversetzungen von Staatsanwäl-ten, regelwidrige Ernennungen und die politische Einflussnahme auf die Judikative. Kurz: Sie fordern die Einhaltung ihrer eigentlich gesetzlich zugesicherten Unabhängigkeit. Wie kommt es dazu, dass magistrats in Benin erstmals in der gesamten Berufsgeschichte sogar in ihren Roben auf der Straße demonstrieren? Und das, obwohl das Land seit seiner friedlichen Transition zu demokratischen Verhältnissen unter Beteiligung einer Nationalkonferenz 1990/91 als „Erfolgsfall der Demokratie“ (Stroh/Never 2006: 1) und sogar als „Modelldemokratie“ (vgl. Kohnert 1996: 78; Magnusson 2001: 211; Bierschenk 2009) bezeichnet wird? Ausgehend von dieser aktuellen Fragestellung analysiere ich in der vorliegenden Arbeit die Entstehung des Richterberufs von seinen Anfängen in der (französischen) Kolonialzeit bis in die Gegenwart. Empirische Grundlagen sind drei Feldforschungsaufenthalte in Benin in den Jahren 2009 und 2015 mit einer Dauer von insgesamt sechseinhalb Monaten sowie eine zweiwöchige Archivforschung 2017 in Frankreich. Ich zeige, dass die unterschiedlichen Erbschaften des Kolonialismus, Sozialismus und der Demokratie die beninische Justiz prägen und sich bis heute auf die Berufsausübung der magistrats auswirken. Basierend auf teilnehmender Beobachtung und Interviews mit 66 magistrats in Benin untersuche ich, wie diese arbeiten und leben, wie sie sich selbst sehen und was es bedeutet, Richter*in oder Staatsanwält*in in Benin zu sein. Dabei lässt sich ein Wandel feststellen: Während die magistrature in der Kolonialzeit bis in die 1960er Jahre als Eliteberuf der Franzosen galt und viele in der sozialistischen Zeit zwischen 1972 und 1989 den Staat als Versorger wahrnahmen, wurde der öffentliche Dienst im Rahmen der Demokratisierung ab 1990 und den damit verbundenen international diktierten Sparmaßnahmen zur zweiten Wahl. Ab 2004 wurde der Richterberuf mithilfe institutioneller Änderungen und einer enormen Besoldungserhöhung aufgewertet, was schließlich zu einer zunehmenden Orientierung an globalen Normen und paradoxerweise ab 2012 zu stetigen Streiks und einer politischen Protestbewegung der magistrats führte. Richter*innen befinden sich in einem double bind: Sie sind unabhängig und doch abhängig, weil sie zum beninischen Staat gehören und dieser über ihre Nominierung und Besoldung entscheidet. Die in der Literatur verbreitete Vorstellung einer korrupten Richterschaft wird aus emischen Perspektiven differenziert diskutiert: Was heißt es, in Benin Karriere als magistrat zu machen? Warum verfolgen einige eine schnelle, andere nur mühsam eine Karriere? Ihre Vorstellungen eines bon magistrat und das Idealbild der Profession scheitern immer wieder an den Anforderungen des Alltags und der Realität – die magistrats versuchen, diese Dilemmata zwischen ihrem hohen Berufsideal und der „Politik“, die mit allen Mitteln in die richterliche Unabhängigkeit einzugreifen versucht, zu meistern. Die vorliegende Arbeit ist ein Beitrag zur Erforschung der größeren Fragestellung des Funktionierens von Staatlichkeit in Afrika und insbesondere in Benin. Vor dem Hintergrund, dass bis in die 2000er Jahre wenig empirisch fundierte Literatur über die beninische Justiz und ihre Akteur*innen existierte, ergänzt meine Pionierarbeit über magistrats in Benin die bereits erfolgten Arbeiten über frankophone und anglophone Staaten in Westafrika. Meine Darstellung der Mikroperspektive der magistrats, ihrer Diskurse und Praktiken produziert neues Wissen und liefert ein dicht beobachtetes Porträt des Berufsstandes ab 1894 bis in die Gegenwart.

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