Narration in slow cinema
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Abstract
Das britische Filmmagazin Sight& Sound hat die Bewegung des slow cinema als die wichtigste Entwicklung im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ausgemacht. Unbeachtet der Diskussion, ob die Langsamkeit im Film tatsächlich nur ein Phänomen des dritten Jahrtausends ist, stellt sich diese Dissertation die Aufgabe, narrative Strukturen solcher Filme und derer Effekte, die sie auf die Zuschauer haben könnten, zu untersuchen. In dieser Hinsicht wird die Herangehensweise an den Film hier aus rein funktionalistischen Gesichtspunkten betrachtet. Das heißt, es geht hier nicht um eine hermeneutische Interpretation, bei der semiotische, psychoanalytische, kultursoziologische u.a. Modelle verwendet werden, sondern um die Untersuchung der narrativen Strukturen und derer Funktionsweise. Obwohl das slow cinema meist als ein antinarratives Phänomen gesehen wird, versucht diese Arbeit zu beweisen, dass auch diese Filme auf denselben narrativen Strukturen basieren wie das konventionelle Kino.
Den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildet die Analyse der Aktstrukturen von sechs ausgewählten Filmbeispielen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, werden Ansätze aus der kognitiven Pragmatik – die Relevanztheorie von Dan Sperber und Deirdre Wilson (1987) – und aus der post-klassischen Erzähltheorie (David Bordwell, Kristin Thompson, Marie–Laure Ryan, David Herman) herangezogen. Da die Relevanztheorie die Bedeutung der inferentiellen Kommunikation betont, auf der auch die Filmkommunikation beruht, ist dieser Ansatz für meine Analyse besonders gut geeignet. Inferentielle Kommunikation besagt, dass die Bedeutungszuweisung einer Äußerung nicht als Dekodierung eines vom Sender festgelegten Codes abläuft, sondern durch den Empfänger, vom Kontext ausgehend, durch Deutung und Interpretation vollzogen wird.
Die Hauptaussage der Relevanztheorie ist, dass jede Äußerung im Rezipienten Erwartungen weckt und dass die Suche nach der optimalen Relevanz der Aussage zu den Hauptaufgaben der menschlichen Kognition gehört. Die allerwichtigste Unterscheidung, die die Relevanztheorie vorgibt, und die für diese Arbeit von maßgebender Bedeutung ist, ist die Differenz zwischen starken und schwachen Implikaturen, da diese eine geteilte Verantwortung für die mögliche Interpretation einer Aussage zwischen dem Autoren und dem Rezipienten beinhaltet. Im Fall von starker Kommunikation werden die Effekte, die eine Aussage beim Leser hervorrufen sollte, von Autoren vorkalkuliert. Im Fall der schwachen Kommunikation sind für diese hauptsächlich Leser (Zuschauer) verantwortlich. Die Dissertation versucht zu beweisen, dass der langsame Film eine Art der schwachen Kommunikation darstellt. Ferner kann mit solchen Konzepten der Erzähltheorie wie Erzählbarkeit (als ein qualitatives Merkmal für ein narratives Ereignis) und die Narrativität (als ein qualitatives Merkmal für die Organisation des Plots) der narrative Aufbau im langsamen Film bestens analysiert werden. Diese Dissertation weist nach, dass die slow narration-Filme anhand sowohl der Erzählbarkeit als auch der Narrativität klassifiziert werden können und dass beide Begriffe in unterschiedlicher Stärke auftreten können.
Die Dissertation zeigt dies anhand von sechs ausgesuchten Beispielen, die zwischen 2002 und 2011 produziert wurden und aus unterschiedlichen Filmkulturen und Kulturkreisen stammen (Taiwan, Argentinien, Deutschland, Ungarn, Thailand, Portugal). Da kausale Verknüpfungen in langsamen Filmen sehr lose bleiben, stellt diese Dissertation die These auf, dass eine Interpretation, die all die Elemente des Films in eine kohärente hermeneutische Auslegung zusammenfasst, nur ein möglicher Weg für den Zuschauer ist, um zu einer angemessenen Rezeptionsstrategie des Films zu gelangen. Andere Strategien, die hier vorgeschlagen werden umfassen affektive, emotionale und sinnliche Erfahrungen, die ein Filmerlebnis miteinschließt. Diese bilden jedoch ein methodologisches Problem für einen Wissenschaftler, der sich auf eine Strukturanalyse beschränken will, weil auch innerhalb der Zielgruppe des slow cinema, welche aus Anhängern des Autorenfilms besteht, höchst individuelle Reaktionen auf diese Filme zu beobachten sind, die sich der universell geltenden wissenschaftlichen Beschreibung entziehen können.