Please use this identifier to cite or link to this item: http://doi.org/10.25358/openscience-3602
Authors: Blohm, Stefan
Title: Literary Psycholinguistics and the Poem
Online publication date: 22-Jan-2020
Year of first publication: 2020
Language: english
Abstract: Die vorliegende Dissertation untersucht Prozesse und Mechanismen der Sprachwahrnehmung, die charakteristisch für die Rezeption literarischer Texte sind. Sie berichtet eine Reihe von Studien, die mittels behavioraler und elektrophysiologischer Messmethoden den Einfluss von Gattungskonzeptionen auf die Verarbeitung und Evaluation sprachlicher Reize untersuchen. Was diese Studien verbindet, ist die systematische Gegenüberstellung gedichtspezifischer und alltagssprachlicher bzw. prosaspezifischer Verarbeitungs- und Evaluationsroutinen unter Beibehaltung des sprachlichen Materials. Was diese Studien unterscheidet, sind die untersuchten Aspekte des Rezeptionsprozesses und die dazu verwendeten, der Psycholinguistik entlehnten Methoden. Kapitel 1 berichtet zwei Studien, die mithilfe systematisch gesammelter Leserintuitionen (Experiment 1a) und ereigniskorrelierter Hirnpotentiale (EKPs; Experiment 1b) untersuchen, welchen Einfluss Gedicht- und Verskonzeptionen auf das Echtzeitverstehen und die Beurteilung einzelner Sätze haben, die gattungstypische formale und semantische Merkmale aufweisen. Kapitel 2 berichtet weitere Analysen der in Experiment 1b gesammelten EEG-Daten. Mittels Zeit-Frequenz- und EKP-Analysen untersucht Experiment 1c den Einfluss von Gattungszuschreibung auf antizipatorische Aufmerksamkeit vor dem Lesen und auf die frühe Echtzeitverarbeitung geschriebener Sprache. Kapitel 3 berichtet eine Studie, die mithilfe kombinierter Blickbewegungsmessungen und Sprachaufnahmen (Experiment 2) untersucht, wie Gattungszuschreibung (Gedicht vs. literarische Prosa) das (Vor)lesen unbekannter Texte beeinflusst, und so behaviorale und akustische Marker dieser literarischen Lesemodi identifiziert. Im Gegensatz zu früheren Untersuchungen zielt diese Studie explizit darauf ab, distinktive Dynamiken gattungspezifischen Lesens zu erfassen. Kapitel 4 berichtet zwei Studien, die sich systematisch gesammelter Leserintuitionen bedienen, um den Einfluss syntaktischer und prosodischer Variablen auf die grammatische und literarisch-ästhetische Evaluation einzelner Verse (Experiment 3a) und Sätze (Experiment 3b) zu untersuchen. Diese Studien zeigen, dass erfahrene Leser die Textsorte Gedicht mit spezifischen grammatischen Strukturen und Merkmalen verbinden. Ich argumentiere, dass das Auftreten dieser Textmerkmale charakteristische Verarbeitungsschritte erfordert bzw. erleichtert, die von Lesern als spezifisch poetische Qualitäten des Textes und der Leseeerfahrung wahrgenommen werden. Kapitel 5 fasst die Resultate der berichteten Studien zusammen, bezieht sie auf einzelne Stufen des Rezeptionsprozesses und diskutiert die Grenzen ihrer Generalisierbarkeit. Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf mögliche zukünftige Forschungsfelder literarischer Psycholinguistik. Auf der Grundlage der gesammelten Beobachtungen ergibt sich folgende Liste gedichtspezifischer Anpassungen der Sprachverarbeitung und -evaluation. Die Konzeption der Textsorte Gedicht... 1. beeinflusst die Erwartungen und die Aufmerksamkeit der Leser bereits vor dem Lesen 2. bewirkt jedoch nicht, dass Leser prosodischen Rekurrenzen gesteigerte Aufmerksamkeit schenken 3. führt zu gattungsspezifischen Anpassungen des Leseverhaltens und der Blickbewegungsroutinen 4. bestimmt Strategien zur gattungsadäquaten phonetischen Realisierung sprachlicher Reize 5. beeinflusst zwar nicht die frühe Verarbeitung (scheinbarer) semantischer Inkongruenz, veranlasst Leser jedoch, sowohl während des Lesens als auch danach größeren Interpretationsaufwand zu betreiben, um zu einer kohärenten Bedeutungsrepräsentation zu gelangen 6. beeinflusst nicht die strategische Nutzung verarbeiteter prosodischer Regelmäßigkeiten (Metrum) beim Lesen 7. macht Leser resilienter gegenüber gattungstypischen historischen Wortformen, die ohne Kenntnis der Gattung kurzzeitig die verfügbaren kognitiven Ressourcen während des Lesens reduzieren 8. beinhaltet gattungsspezifische Evaluationskriterien für grammatische und semantische Merkmale sprachlicher Reize Gemeinsam betrachtet zeigen diese Resultate deutlich, dass literarische Gattungen selbst in der Konzeption literarischer Laien mit ausgewählten sprachlichen Konstruktionen und Merkmalen verknüpft sind, sowie mit adäquaten Anpassungen der Sprachverarbeitung und -evaluation. Diese Anpassungen betreffen sämtliche Stufen des literarischen Rezeptionsprozesses: die Aufmerksamkeit des Lesers vor dem Lesen, die Verarbeitungsroutinen während des Lesens, und die Evaluationskriterien für sprachliche Reize nach dem Lesen.
This dissertation examines the processes and mechanisms of language comprehension that characterise the reception of literary texts. It reports a series of experiments that use behavioural and electrophysiological measures to study the effects of readers' genre conceptions on the processing and evaluation of verbal stimuli. Focusing on different aspects and stages of literary reception, all of these experiments contrast poetry-specific processing and evaluation routines with routines appropriate for processing everyday language or prose texts, while strictly controlling for linguistic variables. Chapter 1 reports two experiments that employed sentence judgments (Experiment 1a) and event-related brain potentials (Experiment 1b) to investigate the influence of genre categorization (poetry vs. no categorization) on the evaluation and the online comprehension of single sentences. Specifically, we examined whether external genre categorization modulates the use of prosodic information in sentence reading and whether it affects the processing and the perceived meaningfulness of semantically (in)congruent utterances. The use of single sentences rather than entire texts allowed us to isolate a priori effects of genre categorization, i.e., processing adjustments triggered by the category and not by the (con)text. Chapter 2 presents additional analyses of the EEG data collected in Experiment 1b. Aiming to pin down the effects of genre categorization on anticipatory attentional states, these analyses (Experiment 1c) focused on pre-stimulus alpha power as an index of selective attention prior to the first linguistic input as well as on further early (<350ms) ERP effects of genre categorization. Chapter 3 reports a study that combined eye tracking and speech recordings (Experiment 2) to contrast the processing strategies for literary prose vs. poetry during oral text reading. Moving beyond aprioristic effects of genre categorization, this study specifically aimed to reveal genre-specific dynamics by studying the interaction of text category and (con)text during literary processing. Chapter 4 presents two experiments that used sentence judgments to examine the influence of morpho-syntactic and prosodic variables on the grammatical and literary-aesthetic evaluation of poetic verse (Experiment 3a) and of regular sentences (Experiment 3b). These studies aimed to demonstrate that experienced readers systematically associate the genre of poetry with selected grammatical structures and features. Chapter 5 summarizes the results of the presented experiments, relates them to distinct stages of the reception process, discusses some limitations of the present work and identifies possible directions for future research in literary psycholinguistics.
DDC: 400 Sprache
400 Language
Institution: Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Department: FB 05 Philosophie und Philologie
Place: Mainz
ROR: https://ror.org/023b0x485
DOI: http://doi.org/10.25358/openscience-3602
URN: urn:nbn:de:hebis:77-diss-1000032719
Version: Original work
Publication type: Dissertation
License: In Copyright
Information on rights of use: https://rightsstatements.org/vocab/InC/1.0/
Extent: 165 Seiten
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