Adaption an Fremdstoff-Exposition : Mechanismus multi-generationaler Effekte nach Xenosensor-Aktivierung
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Eine wichtige Grundvoraussetzung für das Überleben ist die Fähigkeit zur Anpassung an dynamische Umweltfaktoren, welche eine unmittelbare Reaktion zur Aufrechterhaltung der Homöostase des endogenen Stoffwechsels erfordern. Einer dieser dynamischen Faktoren ist die Vielzahl der Fremdstoffe (Xenobiotika), denen jeder Organismus permanent ausgesetzt ist und welche potentiell gesundheitsbelastend oder toxisch sind. Um eine möglichst schnelle Ausscheidung schädlicher Substanzen zu gewährleisten werden Fremdstoffe beim Menschen und anderen Säugern durch die nukleären Rezeptoren CAR und PXR detektiert. Die Bindung von Xenobiotika an diese Rezeptoren aktiviert deren Aktivität als Transkriptionsfaktoren, wodurch die Expression von Enzymen und Transportern der Biotransformation in Leber und Dünndarm erheblich gesteigert wird. Diese Induktion ermöglicht die beschleunigte Metabolisierung und Exkretion von Fremdstoffen, beeinflusst jedoch auch diverse endogene Stoffwechselwege, da viele Metabolite wie Gallensäuren und Steroidhormone ebenfalls Zielstrukturen der Detoxifizierung sind.
Bislang ging man deshalb davon aus, dass die Induktion des Xenobiotikametabolismus reversibel und auf die Expositionszeit begrenzt ist, um Störungen des endogenen Stoffwechsels zu minimieren. Eine aktuelle Veröffentlichung und die der vorliegenden Arbeit vorangegangene Forschungstätigkeit der Arbeitsgruppe zeigten jedoch anhaltende und multigenerationale Expressionssteigerung von Cyp2b10 nach einmaliger Exposition gegenüber TCPOBOP – einem murinen CAR-Liganden. Nach Bestätigung der Induktion auf biologisch aktiver Proteinebene konnte in dieser Arbeit durch Zoxazolamin-Paralyseversuche nachgewiesen werden, dass diese Expressionssteigerung sowohl in exponierten Tieren als auch in der Folgegeneration den Fremdstoffmetabolismus anhaltend beeinflusst.
Um den endogenen Einfluss von CAR weiter zu charakterisieren, wurden im Verlauf dieser Arbeit auch Knochenhomöostase und Energiemetabolismus auf anhaltende und generationsübergreifende Effekte nach TCPOBOP Exposition untersucht. Mikro-CT-Untersuchungen von Tibien und Wirbelkörpern exponierter Tiere legten knochenanabole Prozesse nahe; parallele ELISA-Analysen von Serummarkern für Knochenauf- und –abbau bestätigten diese. Multigenerational waren jedoch keine strukturellen Unterschiede im Knochen zu erkennen. Lediglich die erhöhte Serumkonzentration des anabolen Markers und Osteoidbestandteils Osteocalcin konnte in beiden Generationen gezeigt werden.
Versuche mit hochkalorischer Ernährung bestätigten für exponierte Tiere – jedoch nicht für die Folgegeneration - die in der Literatur bereits mehrfach beschriebene Protektion vor Übergewicht. Glukosetoleranztests und Untersuchungen der Serum-Lipidzusammensetzung mittels HPLC-Größenausschlusschromatographie zeigten parallel anhaltend und generationsübergreifend verbesserte Glukosetoleranz sowie reduzierte Konzentrationen von Gesamtcholesterin, HDL und LDL.
In Anbetracht der somit breit gefächerten Konsequenzen der persistierenden multigenerationalen Aktivierung von CAR, war es eine zentrale Zielsetzung der vorliegenden Arbeit den zugrundeliegenden Übertragungsmechanismus zu identifizieren. Nachdem Versuche eine Übertragung durch die männliche Keimbahn ausgeschlossen hatten, konnte mit Hilfe von in-vitro Fertilisationen und Embryotransferexperimenten zunächst nachgewiesen werden, dass die Transmission in der weiblichen Linie post-konzeptionell erfolgt und nicht auf epigenetische Veränderungen der Eizellen zurückzuführen ist. Ergänzend durchgeführte Fremdpflegeversuche belegten, dass die Übertragung der Induktion überwiegend während der Brutpflege durch den TCPOBOP-Transfer mit der Muttermilch und nur zu geringen Anteilen intra-uterin erfolgt.
Erste im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführte Tests zur Transmission klinisch genutzter Medikamente fielen negativ aus, da die verwendeten Pharmaka deutlich hydrophiler als TCPOBOP waren und entsprechend nicht im Fettgewebe akkumulieren konnten. Vergleichbare Effekte wie sie in den Tierversuchen mit TCPOBOP beobachtet wurden, sind dennoch auch beim Menschen durchaus vorstellbar, da zahlreiche in der Umwelt weit verbreitete Pestizide ähnliche physikochemische Stoffeigenschaften wie TCPOBOP aufweisen. Die Ergebnisse dieser Arbeit legen somit nahe, dass persistierende lipophile Substanzen in der weiblichen Linie durch direkte Übertragung multigenerationale Effekte hervorrufen und die Gesundheit von Nachkommen auch bei Exposition lange vor der Schwangerschaft nachhaltig beeinflussen können. Entsprechend sollten Studien zur Risikobewertung lipophiler anthropogener Substanzen wie beispielsweise Pharmakovigilanzanalysen klinisch genutzter Wirkstoffe bei Frauen immer auch generationsübergreifende Untersuchungen einschließen.