„Diese Pillchen haben noch niemandem geschadet, die kann man bedenkenlos nehmen“ : eine typisierende Studie zu Einstellungen und Nutzungsgewohnheiten hausärztlicher Patient*innen in Bezug auf rezeptfreie Medikamente

Abstract

Hintergrund: Unter Verbraucher*innen verzeichnen rezeptfreie Medikamente, sog. Over-the-counter-Produkte, eine große Nachfrage und sind in der Werbung prominent vertreten. Während die Bedeutung rezeptfreier Medikamente in gesundheitsökonomischen Zusammenhängen relativ gut erforscht ist, fehlt es an belastbaren Untersuchen, die Einstellungen, Zuschreibungen und Nutzungsgewohnheiten bei Patient*innen in den Blick nehmen. Ziel der Arbeit: Anknüpfend an eine vorangegangene quantitative Wartezimmerbefragung von 900 hausärztlichen Patient*innen, verfolgte die vorliegende qualitative Studie das Ziel, Patient*innen mit regelmäßiger OTC-Nutzung im Hinblick auf Einstellungs- und Nutzungsmuster zu klassifizieren. Material und Methoden: Die Studie basiert auf 42 qualitativen Einzelinterviews mit hausärztlichen Patient*innen, die zwischen Februar und Mai 2023 durchgeführt wurden. Im Zuge der Auswertung kam eine qualitative Typenbildung nach Kluge zum Einsatz. Ergebnisse: Es konnten vier Typen von OTC-Nutzer*innen identifiziert werden. Erstens sind Patient*innen vertreten, die rezeptfreie Medikamente ähnlich wie rezeptpflichtige Produkte sehen und prinzipiell die ärztliche Rückbindung suchen. Zweitens gibt es Patient*innen, die in bestimmten, schmalen Anwendungskorridoren einen ausgeprägten Umgang mit OTC-Produkten pflegen, weil diese ihnen aus familiären und langjährigen Nutzungsroutinen heraus bekannt sind. Drittens neigt ein Teil der Interviewten zur verbreiteten Anwendung von rezeptfreien Medikamenten zu prophylaktischen und leistungssteigernden Zwecken. Viertens fallen Patient*innen auf, die OTC-Medikamente als Schlüssel zu einer reinen Selbstmedikamentierung auffassen und auf die weitgehende Vermeidung von Arztbesuchen abzielen. Schlussfolgerung: Es konnten Befunde aus der Voruntersuchung bestätigt, aber auch weiterführende Erkenntnisse gewonnen werden. Angesichts der leichten Verfügbarkeit rezeptfreier Medikamente und ihrer Präsenz in der Werbung ist es wichtig, dass bei Patient*innen eine realistische Vorstellung von den Möglichkeiten und Risiken von OTC-Produkten gegeben ist. Hierbei spielt neben der Beratung durch Apotheker*innen die vertrauensvolle, langjährige Begleitung durch Hausärzt*innen sowie ihre kontinuierliche Informations- und Beratungstätigkeit eine zentrale Rolle. Ebenfalls kommt es darauf an, Kampagnen zur öffentlichen Gesundheit zu stärken.

Background: Nonprescription medications, so-called over-the-counter (OTC) drugs, are in high demand among consumers and are prominently featured in advertising. While the importance of OTC drugs has been relatively well researched in health economics contexts, there is a lack of reliable studies that take patients’ attitudes, attributions, and usage habits into account.

Objectives: Based on a previous quantitative waiting room survey of 900 primary care patients, the present qualitative study aimed to classify patients with regular OTC use with regard to attitude and usage patterns.

Materials and methods: The study is based on 42 qualitative individual interviews with primary care patients that were conducted between February and May 2023. In the course of the evaluation, qualitative typing according to Kluge was used.

Results: Four types of OTC users were identified. Firstly, there are patients who see OTC drugs as similar to prescription products and generally seek medical advice. Secondly, there are patients who have a pronounced use of OTC products in certain, narrow application corridors, because they are familiar with them from long-term usage routines. Thirdly, some of the interviewees tend to widely use OTC drugs for prophylactic and even performance-enhancing purposes. Fourthly, we notice patients who see OTC drugs as the key to pure self-medication and aim to avoid visits to the doctor as much as possible.

Conclusion: Findings from the preliminary investigation were confirmed, but further insights were also gained. Given the ready availability of OTC drugs and their presence in advertising, it is important that patients have a realistic understanding of the possibilities and risks of such products. In addition to the advice from pharmacists, the trusting, long-term support from general practitioners as well as their continuous information and advice play a central role. It is also important to strengthen public health campaigns.