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Authors: Henrici, Clara Blanca
Title: Evaluation eines aufsuchenden, dyadischen Unterstützungsprogramms für Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen - Effekte auf Stresserleben, Lebensqualität und psychische Gesundheit
Online publication date: 9-Feb-2023
Year of first publication: 2023
Language: german
Abstract: Hintergrund und Fragestellung Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen sind einem erhöhten Ausmaß an Stress ausgesetzt, was beide vulnerabel für die Entwicklung körperlicher und psychischer Erkrankungen macht. Während ein Großteil an Interventionen entweder Menschen mit Demenz oder Angehörige adressieren, sind dyadische Interventionen, die beide Partner gleichermaßen in den Fokus nehmen, ein innovativer Ansatzpunkt aktueller Demenzversorgung. Dabei wird vor allem diskutiert, inwiefern dyadische Interventionen für Menschen mit Demenz aufgrund der kognitiven Einschränkungen im Vergleich zu Einzelinterventionen sinnvoll eingesetzt werden können. Die bisherige Evidenz zu dyadischen Interventionen ist dabei bislang allerdings sehr heterogen aufgrund von unterschiedlichen Studiendesigns, Outcomemaßen und Definitionen dyadischer Interventionen. Darüber hinaus beruht die Evaluation der Ergebnisse häufig nur auf den Angaben der Angehörigen. Zudem sind die Mechanismen, die der Wirksamkeit dyadischer Interventionen bei Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen zugrunde liegen, bislang ungeklärt. Ziel der vorliegenden Arbeit war es daher, Effekte und zugrundeliegende biopsychologische Mechanismen einer aufsuchenden, dyadischen Intervention in der Häuslichkeit von Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen zu evaluieren. Methoden In einer explorativen, prospektiven, nicht-kontrollierten Studie, nahmen insgesamt N = 24 Dyaden an der aufsuchenden dyadischen Intervention teil. Die Menschen mit Demenz (16 männlich) waren im Durchschnitt 75,71 (± 7,21) Jahre alt und erreichten bei der Auswertung des MMST (Baseline) einen mittleren Summenwert von 22 ± 3 Punkten (leichte Demenz: n = 18, mittelschwere Demenz: n = 6, schwere Demenz: n = 0). Die pflegenden Angehörigen (20 weiblich) waren durchschnittlich 67,79 (± 10,68) Jahre alt. Die aufsuchende dyadische Intervention wurde durch Pflegeexperten für Demenz unter enger Supervision einer Psychotherapeutin durchgeführt. An insgesamt neun Terminen, davon sieben als Hausbesuch, wurden dyadisch Kompetenzen zur Krankheitsbewältigung (z.B. Stressmanagement, Kommunikationstraining, Aktivitätenplanung) vermittelt. Neben subjektiven Angaben zum Stresserleben wurden wiederholt Speichelproben (vor und nach jedem Hausbesuch sowie Tagesprofile an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu Beginn und Ende der Intervention mit je sechs Messzeitpunkten) zur späteren Analyse von Cortisol und Alpha-Amylase von Mensch mit Demenz und Angehörigen gesammelt. Zusätzlich folgte zu Beginn und Ende der Intervention die Datenerhebung zu klinischen Charakteristika der Menschen mit Demenz und ihrer pflegenden Angehörigen in Form von Fragebögen in Ergänzung zur Sammlung von Haarproben zur Messung von Haarcortisol. Die Auswertung der messwiederholten Daten erfolgte anschließend anhand hierarchisch linearer Modelle. Ergebnisse Insgesamt zeigten sich sowohl Menschen mit Demenz als auch pflegende Angehörige gestresst. Interessanterweise ergaben sich dabei jedoch Unterschiede in den stressbezogenen Angaben je nach Konstrukt. Vor allem Menschen mit Demenz wiesen eine Diskrepanz zwischen subjektiven und objektiven Stresswerten dahingehend auf, dass sie subjektiv geringere Angaben machten und gleichzeitig deutlich höhere physiologische Stressmarker aufwiesen. Bezüglich einer kurzfristigen Stressreduktion (Vergleich der Messzeitpunkte vor und nach den Hausbesuchen) war das momentane subjektive Stresserleben insgesamt nach den Sitzungen geringer. Pflegende Angehörige erlebten hierbei eine subjektive Stressreduktion, Menschen mit Demenz nicht. Objektiv zeigte sich eine signifikant höhere Cortisolkonzentration bei Menschen mit Demenz als bei Angehörigen, sowie deskriptiv eine Abnahme der Cortisolkonzentration bei beiden Partnern der Dyade. Für den Messzeitpunkt nach den jeweiligen Terminen zeigte sich eine erhöhte Alpha-Amylase-Aktivität bei den Angehörigen. Bezüglich einer mittelfristigen Stressreduktion gemessen anhand der wiederholten Messung von Cortisol und Alpha-Amylase im Alltag der betroffenen Dyaden zu Beginn und Ende der Intervention, zeigten sich insgesamt höhere Cortisolwerte über den Tag bei Menschen mit Demenz im Vergleich zu ihren Angehörigen. Gleichzeitig zeigte sich, dass vor allem Menschen mit Demenz zum Ende der Intervention niedrigere Cortisolsekretionen über den Tag aufwiesen, während sich für Angehörige höhere Werte im Verlauf zeigten. Bezüglich einer längerfristigen Stressreduktion (gemessen anhand der Haarcortisolkonzentration) zeigte sich kein signifikanter Effekt, aber auch hier zeigten Menschen mit Demenz stets signifikant höhere Werte als ihre Angehörigen. Die Auswertung der Fragebögen zu Beginn, zum Ende und 6 Monate nach Beendigung der Intervention ergab keine signifikanten Änderungen. Diskussion Diese aufsuchende, dyadische Intervention bewirkte eine biopsychologische Stressreduktion, allerdings mit differentiellen Effekten bei Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen. Diese zeigte sich bei Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen die Abnahme unterschiedlicher biologischer und subjektiver Stressmarker. Während sich bei den pflegenden Angehörigen subjektiv eine Stressreduktion nachweisen ließ, zeigte sich dies bei Menschen mit Demenz im Selbstbericht nicht. Hingegen konnten wir deskriptiv bei beiden Partnern der Dyade eine objektive Stressreduktion (im Sinne einer reduzierten Cortisolkonzentration im Speichel) nachweisen. Somit zeigte sich für Menschen mit Demenz eine Diskrepanz im subjektiven und objektiven Stresserleben. Das Erheben objektiver Stressmarker erwies sich demzufolge als elementar, um eine mögliche Anosognosie des subjektiven Stresserlebens bei Menschen mit Demenz auszugleichen. Das gewählte Studiendesign erwies sich somit als machbar und vor allem als besonders geeignet, der Patientenperspektive gerecht zu werden und eröffnet somit einen bisher schlecht beleuchteten wissenschaftlichen Blickwinkel. Eine dyadische Betrachtungsweise von Menschen mit Demenz und pflegenden Angehörigen findet in den vergangenen Jahren immer größere Berücksichtigung in der wissenschaftlichen Praxis. Hier schließt sich die vorliegende Studie an und betrachtet Menschen mit Demenz und pflegende Angehörige als Dyade auf Augenhöhe und somit als Partner, die sich gemeinsam den Herausforderungen der Demenzerkrankung stellen und sich im Alltag mit der Demenzerkrankung und im Erleben dieser wechselseitig beeinflussen. Zusammenfassend sind die Etablierung und Evaluation aufsuchender, dyadischer Unterstützungsprogramme für Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen vielversprechende Ansätze einer guten Demenzversorgung. Um insgesamt besser zu verstehen, wie diese Interventionen wirken, ist es notwendig in nachfolgenden kontrollierten, randomisierten Studie zu untersuchen, bei wem sie vor allem gut wirken, welche Elemente der Intervention wirken und wie sie interpersonell innerhalb der Paare dyadische, co-regulatorische Prozesse beeinflussen. Hierbei empfiehlt es sich die Perspektive von beiden Partnern der Dyade anhand der Analyse von subjektiven und objektiven Stressmarkern zu berücksichtigen. So können in Zukunft bedarfsgerechte und alltagsnahe Interventionen entwickelt werden.
DDC: 610 Medizin
610 Medical sciences
Institution: Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Department: FB 04 Medizin
Place: Mainz
ROR: https://ror.org/023b0x485
DOI: http://doi.org/10.25358/openscience-8554
URN: urn:nbn:de:hebis:77-openscience-8733695f-fd98-4a47-979f-a4167a9f37e99
Version: Original work
Publication type: Dissertation
License: In Copyright
Information on rights of use: http://rightsstatements.org/vocab/InC/1.0/
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