Die Psychotherapie vormals Psychotherapeut Originalien Psychotherapie https://doi.org/10.1007/s00278-023-00667-5 Indikatoren der Angenommen: 11. April 2023 © Der/die Autor(en) 2023 Behandlungskoordinierung in Psychotherapieberichten Susanne Singer1 · Lena Maier1 · Julian Blanck1 · Hauke Felix Wiegand2 1 Abteilung Epidemiologie und Versorgungsforschung, Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-UniversitätMainz, Mainz, Deutschland 2 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland Zusammenfassung Ziel:Diese Studie untersuchte, wie häufigpsychopharmakologische bzw. psychiatrische Vor- und Mitbehandlungen in Berichten an den Gutachter im Rahmen von Anträgen auf Kostenübernahme einer Psychotherapie erwähnt werden. Methode: Einer Zufallsstichprobe von 1000 Berichten wurden alle Erst- und Umwandlungsanträge entnommen. Angaben zu Diagnosen und Vorbehandlungen aus den Texten sowie den Formularen wurden extrahiert. Die Erwähnungshäufigkeit wurde zwischen Ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeut:innen sowie zwischen Patient:innen mit verschiedenen Indikationen für eine Medikation entsprechend aktueller Leitlinien (soll, soll nicht, kann) mithilfe von χ2-Tests und multivariater logistischer Regression verglichen. Ergebnisse: In 61% der 629 Erst- und Umwandlungsanträge wurde medikamentöse Behandlung nicht erwähnt. Ärzt:innen erwähnten sie häufiger als Psycholog:innen (46% vs. 34%, adjustierte „odds ratio“ [OR] 1,6; p= 0,003). Bei Patient:innen, für die die Leitlinien eine „Soll“-Empfehlung für eine Medikation aussprechen, wurde diese häufiger erwähnt als bei denen, für die eine „Kann“-Empfehlung besteht (OR 2,1; p= 0,01). Auch ambulante psychiatrische Behandlung wurde von Ärzt:innen häufiger erwähnt als von Psycholog:innen (44% vs. 35%; OR 1,5; p= 0,02). Schlussfolgerung: Psychopharmakologische und psychiatrische Mit- bzw. Vorbehandlungen werden in den Berichten häufig nicht erwähnt. Es sollte von Gutachterseite sowie während der Aus- und Fortbildung darauf hingewirkt werden, dass sich diese Situation verbessert. Schlüsselwörter Psychopharmakotherapie · Psychotherapie · Psychiatrische Behandlung · Ärzt:innen · Psychotherapeut:innen Angaben zu Medikation sowie Vor- und nung bedacht werden sollte und Medi- Mitbehandlungen im Bericht an an die kamentenanwendungen die therapeuti- Gutachterin oder den Gutachter im Rah- scheBeziehungverändernkönnen.Doch men von Kostenübernahmeanträgen für wie häufig werden diese in der Konzep- Psychotherapien sind wichtig, da diese tion von Psychotherapien überhaupt zum Beispiel auf die Schwere und die benannt und berücksichtigt? Prognose der psychischen Erkrankung hinweisen. Für Therapeut:innen ist ihre Hintergrund und Fragestellungen Kenntnis außerdem relevant, weil die Versorgung psychisch Kranker als ge- In Anträgen auf Kostenübernahme einer meinschaftliche Aufgabe verschiedener Psychotherapie sollte laut „Leitfaden zum QR-Codescannen&Beitragonline lesen Berufsgruppen in der Behandlungspla- Erstellen des Berichts an die Gutachterin Die Psychotherapie 1 Originalien oder den Gutachter“ der Psychotherapie- Von vielen Praktiker:innen wird außer- 4. Wie häufig kommt es vor, dass Pa- Vereinbarung (PTV) auch die aktuelle psy- dem nachvollziehbar argumentiert, dass tient:innen Psychopharmaka bekom- chopharmakologische Medikation Erwäh- die Einnahme bestimmter Psychophar- men, ohne dass sie eine psychiatrische nung finden. Für diese Maßgabe gibt es maka, wie z. B. von Benzodiazepinen, das oder ärztlich-psychotherapeutische gute Gründe: Bei bestimmten psychischen Neulernen und Neubewerten und damit Vor- bzw. Mitbehandlung erhalten? Erkrankungen besteht nach den aktuellen den psychotherapeutischen Prozess be- Therapieleitlinien und der darin aufgehen- einträchtigen kann (Campos et al. 2022; Methoden den Evidenz, unter Berücksichtigung der Curran 1986; Guina et al. 2015). Vorbehandlungen der Patient:innen, ihrer Aufgrund all dieser Aspekte ist die Aus einem großen Pool von Anträgen an Präferenzen und weiterer Rahmenbedin- Kenntnis der aktuellen psychopharma- verschiedene Krankenkassen zur Kosten- gungen, eine Indikation für eine Kom- kologischen Medikation zentral, um ab- übernahmeeiner tiefenpsychologisch fun- binationsbehandlung von Psychotherapie schätzen zu können, wann und wie eine dierten (TP) oder analytischen Psychothe- und spezifischer Psychopharmakotherapie Psychotherapie überhaupt sinnvoll ist. rapie (AP) erwachsener Patient:innen wur- als Soll-Empfehlung (z. B. bei schweren Die vorliegende Studie untersuchte da- den per Zufall 1000 Exemplare ausgewählt Depressionen; Bundesärztekammer et al. her, wie häufig psychopharmakologische und alle personenidentifizierenden Anga- 2022) oder als Kann-Empfehlung (z. B. bei und psychiatrische Behandlungen in der bengeschwärzt. Anschließendwurden fol- posttraumatischen Belastungsstörungen; Konzeption von Psychotherapien benannt gende Informationen aus den Formularen Schäfer et al. 2019). Da eine Gesamtver- und berücksichtigt werden. Dabei inter- (PTV-Bogen) bzw. dem Bericht an die Gut- antwortung aller Behandler:innen für ei- essierte auch, ob es diesbezüglich Unter- achterin oder den Gutachter extrahiert: ne den Leitlinien möglichst entsprechen- schiedezwischenÄrztlichenundPsycholo- – welchen Beruf und welche Abrech- de Behandlung anzunehmen ist, sollten gischen Psychotherapeut:innen gibt, und nungsgenehmigungen der Therapeut die Anträge Kenntnis über die weiteren ob die Medikation häufiger bei jenen Pa- bzw. die Therapeutin hat, angewendeten Therapiemaßnahmen auf- tient:innen beschrieben wird, für die ent- – ob im Bericht erwähnt wurde, ob der weisen. sprechend den Leitlinien eine Kombinati- Patient bzw. die Patientin gegenwärtig Zudem wird in der ambulanten Versor- onstherapie angedacht ist. Medikamente einnimmt und wenn ja, gung von Patient:innen mit insbesondere Die Fragestellungen und Hypothesen welche (Antidepressiva, Anxiolytika/ schweren psychischen Erkrankungen der waren im Einzelnen: Hypnotika, Antipsychotika, andere Netzwerkgedanke zwischen verschiede- 1. Wie häufig wird in den Berichten an Psychopharmaka, Analgetika), nen Berufsgruppen zunehmend wichti- die Gutachterin oder den Gutachter – ob er bzw. sie in psychiatrischer oder ger, was z. B. in der Ende 2021 in Kraft erwähnt, ob die Patient:innen gegen- psychosomatischer Behandlung war getretenen „Richtlinie über die berufs- wärtig Psychopharmaka einnehmen oder ist (stationär oder ambulant) und gruppenübergreifende, koordinierte und oder nicht? – welche Diagnose entsprechend der strukturierte Versorgung insbesondere jHypothese 1: Es wird relativ häufig 10. Version der Internationalen Statis- für schwer psychisch kranke Versicher- nicht erwähnt. tischen Klassifikation der Krankheiten te mit komplexem psychiatrischen oder jHypothese 2: Ärztliche Psychothera- und verwandter Gesundheitspro- psychotherapeutischen Behandlungsbe- peut:innen erwähnen dies häufiger bleme (ICD-10) verschlüsselt wurde. darf“ (KSVPSych-RL, https://www.g-ba. als Psychologische Psychothera- Wenn keine ICD-10-Ziffer kodiert, die de/richtlinien/126/) und entsprechenden peut:innen. Diagnose aber in Worten eindeutig S3-Leitlinien (Becker et al. 2018; Benecke jHypothese 3: Dies wird häufiger beschrieben war, wurde sie von Stu- etal. 2023)Ausdruckfindet. IndiesenNetz- bei Diagnosen erwähnt, bei denen dienmitarbeiter:innen verschlüsselt. werken ambulanter Komplexversorgung gemäß Leitlinien eine Kombinations- Im Fall von uneindeutigen Diagnosen können auch Psychologische Psychothe- therapie (medikamentöse Therapie (z. B. „Depression“) wurde kein Code rapeut:innen als Bezugstherapeut:in die und Psychotherapie) indiziert ist. vergeben. Koordination übernehmen (G-BA 2021). 2. Wie häufig sind Diagnose und genann- Ein weiterer wichtiger Aspekt der te Medikation konsistent? Bei den folgenden ICD-10-Codes wurde Kenntnis der aktuellen psychopharmako- 3. Wie häufig wird in den Berichten definiert, dass laut Leitlinien eine Kombi- logischen Therapien ihrer Patient:innen an den Gutachter erwähnt, ob, und nationstherapie möglicherweise indiziert durch Psychotherapeut:innen besteht wenn, ja welche psychiatrischen ist, d. h., dass Medikamente zusätzlich zur darin, dass das Krankheitsmodell der bzw. psychosomatischen Vor- und Psychotherapie gegeben werden sollen: Patient:innen sowie u. a. Selbst- und Sub- Mitbehandlungen stattgefunden F2,F30,F31,F32.2, F33.2, F32.3, F33.3 (Bun- stanzwirksamkeitserwartungen Einfluss haben bzw. stattfinden? desärztekammer et al. 2022; Bauer und auf therapeutische Beziehung und Thera- jHypothese 4: Diese Behandlungen Pfennig 2019; Gaebel et al. 2019). Bei den piezufriedenheit haben dürften (Bhui und werden häufiger von Ärztlichen als folgendenDiagnosensollten lautLeitlinien Bhugra 2004, 2002; Callan und Littlewood von Psychologischen Psychothera- keine Psychopharmaka verordnet werden: 1998; Küchenhoff 2010). peut:innen erwähnt. F40.2, F44, F60, F61, F62.0 (Alpers et al. 2021; Lieb 2022). Alle anderen Diagnosen 2 Die Psychotherapie Tab. 1 Merkmale der Stichprobe (n=629) Ethikkommission der Landesärztekammer Merkmale Anzahl (n) Anteil (%) Rheinland-Pfalz erteilte ihr zustimmendes Geschlecht der Patient:innen Votum zu Beginn der Studie (# 2018- Männlich 134 21 13221). Eine ausführliche Darstellung des Weiblich 495 79 Designs und der Datenextraktion kann Alter (Jahre) andernorts nachgelesen werden (Singer <20 4 1 et al. 2023a, b). 20–29 114 18 30–39 166 26 Ergebnisse 40–49 187 30 Stichprobe 50–59 129 21 60–69 24 4 Bei insgesamt 369 Anträgen handelte es 70–79 5 1 sich um Fortführungsanträge, 2 weitere Bildung Anträge wurden ausgeschlossen, weil sie Keinen Schulabschluss 9 1 keinen Bericht enthielten, sodass 629 An- Hauptschule 71 11 träge die Grundlage für die vorliegenden Realschule/mittlere Reife 138 22 Auswertungen bilden. Polytechnische Oberschule 8 1 Die Anträge stammten aus den Jahren Fachhochschulreife 48 8 2003–2018. Insgesamt 143 (23%) waren Abitur 222 35 Anträge auf Kostenübernahme einer AP Anderer Schulabschluss 6 1 und 486 (77%) auf Kostenübernahme Unbekannt/nicht eindeutig 127 20 einer TP. Die Anträge wurden zu 79% Diagnosegruppe nach ICD-10a von Frauen gestellt (. Tab. 1). Bei 41 Pa- F0 0 0 tient:innen war eine Diagnose, bei der laut Leitlinien eine Medikation gegeben wer- F1 23 4 den soll, verschlüsselt, 69 Patient:innen F2 8 1 sollte keine Psychopharmaka verordnet F3 427 68 werden, und 12 Patient:innen hatten ei- F4 350 56 ne Kombination von Diagnosen, für die F5 60 10 die Leitlinien sowohl eine Medikation F6 109 17 vorsehen als auch nicht. Zweimal war F7 1 0,2 keine Diagnose angegeben; die restlichen F8 1 0,2 505 Patient:innen hatten Diagnosen, bei F9 4 1 denen Medikamente gegeben werden ICD-10 10. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter können. Pro Patient:in waren 0 bis 5 Dia- Gesundheitsprobleme gnosen verschlüsselt, im Durchschnitt aMehrfachnennungen möglich 1,6 Diagnosen. Die Therapeut:innen waren etwa zur wurden als den „Kann“-Empfehlungen zu- In die Analyse wurden Erst- und Um- Hälfte (57%) Psycholog:innen, 42% wa- gehörig kodiert. Patient:innen mit einer wandlungsanträge eingeschlossen, Fort- ren Ärzt:innen, und 1% hatten beide Ab- F43.1-Diagnose soll weder Antipsychoti- führungsanträge wurden hingegen aus- schlüsse absolviert. Im Folgenden werden ka noch Stimmungsstabilisierer verordnet, geschlossen, da bei diesen alles das, was diejenigen mit beiden Abschlüssen eben- aber Antidepressiva können verabreicht sich seit dem ersten Antrag nicht verän- falls in der Kategorie „Ärzt:innen“ geführt. werden (Schäfer et al. 2019); diese Dia- dert hat, nicht erwähnt werden muss; das Am häufigsten (70%) hatten die Thera- gnose wurde ebenfalls den „Kann“-Emp- kann auch psychiatrische Mitversorgung peut:innen eine alleinige Ausbildung in fehlungen zugeordnet. Beimultimorbiden und Pharmakotherapie, v. a. aber vorheri- TP, gefolgt von AP in Kombination mit Patient:innen mit einer Kombination von ge Krankenhausaufenthalte betreffen. TP (18%), von alleiniger AP (9%) und je Diagnosen, denen laut Leitlinien einerseits Die Datenanalyse beinhaltete χ2-Tests 2% in TP plus Verhaltenstherapie sowie in Medikamente gegeben, andererseits aber für Gruppenvergleiche sowie multivariate allen 3 Verfahren. Die psychotherapeuti- auch nicht gegeben werden sollen (bei- logistische Regressionen. Sie erfolgte mit- schen Verfahren waren bei Ärzt:innen und spielsweise eine Komorbidität von F32.2. hilfe des Statistikprogramms STATA (Ver- Nichtärzt:innen in etwa gleich verteilt, wo- mit F61), wurde unter der Annahme, dass sion 16, StataCorp, College Station, Texas). bei die Ärzt:innen etwas häufiger zusätz- es sich nicht um eigentliche Kontraindika- Die Studie wurde anteilig durch die lich eine Abrechnungsgenehmigung für tionen handelt, ein „Soll“ kodiert. International Psychoanalytical Association Verhaltenstherapie hatten. (IPA) finanziert (# 4954). Die zuständige Die Psychotherapie 3 Originalien Tab. 2 Erwähnung von psychiatrischer undpsychopharmakologischerMitbehandlung in Psy- Wie häufig wird in den Berichten chotherapieberichten erwähnt, ob die Patient:innen Mitbehandlung Anzahl (n) Anteil (%) gegenwärtig Psychopharmaka Patient:in nimmt gegenwärtig Psychopharmaka ein einnehmen oder nicht? Nein 125 20 – Ja 121 19 – In 246 (39%) der 629 Berichte wurde the- Nicht erwähnt/nicht eindeutig 383 61 – matisiert, ob der Patient bzw. die Pati- . . . Antidepressiva 94 15 38a entin gegenwärtig Psychopharmaka ein- . . . Anxiolytika und Hypnotika 13 2 5a nimmt (121-mal ja, 125-mal nein), d. h., . . . Antipsychotika 9 1 4a in den übrigen 61% wurde dies nicht er- . . . Andere Psychopharmaka 19 3 8a wähnt (. Tab. 2). Einen deutlichen Unter- a schiedgabes zwischenärztlichenundpsy-. . . Analgetika 10 2 4 chologischen Kolleg:innen. Während 66% Ambulante psychiatrische Behandlung der Psycholog:innen die Medikation nicht Nein, nie 148 24 – erwähnten, war dies nur bei 54% der Ja, derzeit 79 13 – Ärzt:innen der Fall (p= 0,002). Die beiden Ja, früher, aber nicht derzeit 18 3 – ersten Hypothesen haben sich somit be- Nicht erwähnt/nicht eindeutig 384 61 – stätigt. (Teil)stationäre psychiatrische Behandlung in der Vergangenheit Es gab keine Hinweise darauf, dass sich Nein 216 34 – die Erwähnungshäufigkeit entsprechend Ja 104 17 – den verschiedenen Abrechnungsgeneh- Nicht erwähnt/nicht eindeutig 309 49 – migungen (d.h. dem erlernten Psycho- (Teil)stationäre psychosomatische Behandlung in der Vergangenheit therapieverfahren TP oder AP oder Kom- Nein 206 33 – binationen davon) der Therapeut:innen Ja 110 17 – unterscheidet (p= 0,86). Nicht erwähnt/nicht eindeutig 313 50 – Bei Patient:innen mit einer Diagnose, Ambulante psychotherapeutische Behandlung bei der laut Leitlinien eine Kombinations- Nein, nie 211 34 – therapiewahrscheinlichindiziert ist („Soll“- Kategorie),wurde in57%der Berichte eine Ja, bei demselben Therapeuten 35 6 – Medikationerwähnt.Hiergabes keinen re- Ja, bei anderem Therapeuten 175 28 – levanten Unterschied zwischen Ärzt:innen Nicht erwähnt/nicht eindeutig 208 33 – und Psycholog:innen (57% bzw. 56% er- aDie Prozentangaben beziehen sich hier auf die Berichte, bei denen die Medikation erwähnt wurde n wähnten dies). Im Fall der Diagnosen, bei( = 246) denen keine Medikation verabreicht wer- den soll („soll nicht“), wurde dieses The- ma in 45%der Berichte angesprochen. Bei 37%der übrigenPatient:innen, denenMe- 0% 20% 40% 60% 80% 100% dikamente gegeben werden können, wur- de dies thematisiert (p= 0,02, . Abb. 1). laut LL: soll 30 23 Das bedeutet, dass auch die dritte Hypo- these mit den erhobenen Daten überein- stimmt. laut LL: kann 185 320 Die multivariate logistische Regression zeigte, dass es einen unabhängigen Effekt sowohl der Berufsgruppe als auch der laut LL: soll nicht 31 38 Indikation („soll“, „soll nicht“ und „kann“) auf die Erwähnungswahrscheinlichkeit von Medikation gibt (. Tab. 3). Medikaon im Bericht erwähnt Medikaon im Bericht nicht erwähnt Wie häufig sind Diagnosen und die genannte Medikation konsistent? Abb. 18Häufigkeit der Erwähnung von psychopharmakologischerMedikation imBericht an den Gutachter, getrennt nachDiagnosen, bei denen laut Leitlinien (LL) eine entsprechendeMedikation gegebenwerden „soll“, „kann“ oder „nicht gegebenwerden soll“. Dargestellt sind die absolutenHäu- In 94 Berichten wurde beschrieben, dass figkeiten (Zahlenangaben) sowie die Anteile in Prozent (Farbverteilung) derPatientbzw.diePatientinAntidepressi- va erhält. Das entspricht 38%der Berichte, in denen eine Medikation erwähnt wurde 4 Die Psychotherapie Tab. 3 Wahrscheinlichkeit der Erwähnung einerMedikation in Berichten an denGutachter Psychologischen Psychotherapeut:innen durchÄrzt:innenvs.Psycholog:innenundbei verschiedenerEmpfehlungfüreineMedikation (ent- (p= 0,42). Mit anderen Worten: In 33% sprechendden Leitlinien) der Berichte wurde nicht erwähnt, ob im Odds Ratio 95%-KI p-Wert Vorfeld bereits eine Psychotherapie statt- Berufsgruppe Psycholog:in 1,0 (Referenz) gefunden hatte. Wenn erwähnt wurde, Ärzt:in 1,6 1,2 2,3 0,003 dass eine Therapie bei einem anderen Empfehlung Soll 2,1 1,2 3,8 0,011 Therapeuten bzw. einer Therapeutin er- Kann 1,0 (Referenz) folgt war (n= 175), fehlte in der Hälfte Soll nicht 1,4 0,8 2,3 0,201 der Fälle (n= 95, 54%) die Angabe des 95%-KI 95%-Konfidenzintervall Verfahrens, bei 66% fehlten Angaben zur Dauer der Therapie, bei 74% zur Anzahl der Sitzungen, bei 95% zur Sitzungsfre- (n= 246). In 9 Berichten (4%) gab es An- pharmaka (n= 8). Insgesamt 3 der Pa- quenz und bei 33% zur vergangenen Zeit gaben darüber, dass gegenwärtig Antipsy- tient:innen, die eine Medikation erhielten, seit dem Ende der letzten Therapie. chotika eingenommen werden, in 13 Be- hatten außer der Persönlichkeitsstörung richten (5%) Angaben zu Anxiolytika und keine weitere Diagnose. Wie häufig kommt es vor, dass Hypnotika, in 19 Berichten (8%) zu ande- Patient:innen Psychopharmaka ren Psychopharmaka und in 10 Berichten Wie häufig wird in den Berichten bekommen, ohne dass sie eine (4%) zu Analgetika. erwähnt, ob, und wenn ja, welche psychiatrische oder ärztlich- Bei den Patient:innen, denen laut Leit- Vor- und Mitbehandlungen psychotherapeutische Vor- bzw. linien Antidepressiva verabreicht werden stattgefunden haben bzw. Mitbehandlung erhalten? sollen (n= 45), wurde in 71% der Berichte stattfinden? nicht erwähnt, ob sie diese erhalten oder Die Antwort auf diese Frage kann sich nur nicht. Bei den übrigen 29% handelte es In 39% der Berichte wurde erwähnt, ob auf die Berichte stützen, bei denen sowohl sich jeweils um die Angabe, dass Antide- diePatient:innengegenwärtig inambulan- Medikation als auch Vor- bzw. Mitbehand- pressiva gegeben werden. ter psychiatrischer Behandlung sind oder lungen erwähnt wurden. Dies war bezüg- Bei 2 der 8 Patient:innen mit F2-Dia- dies früher waren (. Tab. 2), und zwar lich der ambulantenpsychiatrischenVer- gnosengab es Angaben zur Einnahme von häufiger von Ärztlichen als von Psycholo- sorgung in 178 Berichten der Fall. Von den Antipsychotika und zwar in beiden Fällen gischen Psychotherapeut:innen (44% vs. darin beschriebenen Patient:innen nah- derart, dass diese genommen werden; bei 35%; OR 1,5; p= 0,02). men69einepsychopharmakologischeMe- den übrigen 6 Patient:innen (75%) wurde Aufenthalte in psychiatrischen bzw. dikation ein, und 83% davon (n= 55) wa- diese Medikation nicht erwähnt. Bei allen psychosomatischen Kliniken wurden in ren in ambulanter psychiatrischer Versor- 7Patient:innen,diekeine F2-Diagnosehat- 51% bzw. 50% der Berichte erwähnt gung. ten, aber Antipsychotika bekamen, war ei- (. Tab. 2). Hier gab es keine Hinweise auf Medikation und stationäre psychiatri- ne F4-Diagnose, in 4 Fällen darüber hinaus Unterschiede zwischen den Berufsgrup- scheVersorgungwaren in181derBerichte eine F3-Diagnose und 3-mal die Diagnose pen: Vorausgegangene (teil-)stationäre erwähnt. Von diesen Patient:innen erhiel- einer Persönlichkeitsstörung verschlüsselt psychiatrische Aufenthalte wurden von ten 65 Medikamente, und 62% (n= 40) worden. 50% der Psycholog:innen und 52% der waren in einer psychiatrischen Klinik auf- Insgesamt 4 Patient:innen wiesen ei- Ärzt:innen erwähnt (p= 0,73); Aufenthal- genommen gewesen. ne bipolare Störung auf, davon wurde bei te in psychosomatischen Kliniken von Insgesamt 21 Patient:innen erhielten nureinemdieEinnahmeeinesStimmungs- 51% der Psycholog:innen und 50% der Medikamente, ohne laut Bericht in ambu- stabilisierers (Lamotrigin) beschrieben. Ein Ärzt:innen (p= 0,87). lanter oder (teil)stationärer psychiatrischer Patient erhielt laut Bericht ein Antipsy- Es gab ebenfalls keine Hinweise da- oder psychosomatischer Behandlung (ge- chotikum und ein Antidepressivum. Zu rauf, dass sich die Erwähnungshäufigkeit wesen) zu sein, und ohne dass der behan- einem Patienten wurde geschrieben: „Ei- von Vor- und Mitbehandlungen je nach delnde Psychotherapeut ein Arzt war. ne fachärztliche (medikamentöse) Mitbe- Abrechnungsgenehmigung der Thera- handlung ist erforderlich und gesichert“, peut:innen unterscheidet, weder für ei- Diskussion ohne auf die konkrete Medikation näher ne ambulante Mitbehandlung (p= 0,72) einzugehen. Beim letzten Patientenwurde noch für Aufenthalte in psychiatrischen Die vorliegenden Analysen zeigen, dass in keinerlei Medikation erwähnt. (p= 0,97) oder psychosomatischen Klini- den Berichten an die Gutachterin oder den Vonden105Patient:innenmiteinerPer- ken (p= 0,81). Gutachter,diezumZweckderBeantragung sönlichkeitsstörung erhielten laut Bericht Ob vor der aktuellen Therapie eine der Kostenübernahme von Psychothera- 29 (28%) eine Medikation, meist Antide- oder mehrere ambulante Psychotherapi- pien durch die Krankenkassen formuliert pressiva (n= 23), aber auch Anxiolytika/ en stattgefundenhatbzw. haben,wurde in werden, psychopharmakologische Medi- Hypnotika (n= 5), Analgetika (n= 1), An- 67% der Berichte erwähnt (. Tab. 2), und kation bzw. psychiatrische und psychoso- tipsychotika (n= 3) und andere Psycho- zwar von 65%der Ärztlichen und 68%der matische Vor- und Mitbehandlung häufig Die Psychotherapie 5 Originalien nicht erwähnt wird. Das ist insofern be- te Krankheitsmodell eine Rolle spielen, laut Leitlinien eine Kombinationstherapie merkenswert, als der Leitfaden der PTV in dem eine psychopharmakologische bekommen sollen, dass also der Unter- dies für die Berichte explizit vorsieht. Therapie keine Rolle spielt. Interessanter- schied zwischen den Berufsgruppen nur Immerhin waren in den Anträgen der weise gibt es relativ wenige Studien zur ein scheinbarer wäre. Die multivariaten Patient:innen mit Diagnosen, die laut Leit- Einstellung von Psychiater:innen und Psy- Regressionsanalysen zeigten jedoch, dass linien mit einer „Soll“-Empfehlung für ei- chotherapeut:innen zu Psychopharmaka. dies nicht der Fall ist. Das bedeutet, dass nemedikamentöse Therapie zusätzlich zur Eine große Befragung verschiedener Be- die häufigere Erwähnung von Medikation Psychotherapie einhergehen, häufiger An- rufsgruppen in 13 lateinamerikanischen bei Ärzt:innen vermutlich nicht darauf gaben zurMedikationenthalten. Trotzdem Ländern ergab, dass Psychiater:innen häu- zurückgeführt werden kann, dass diese fehltendieseauchhier in43%derBerichte. figer als Psycholog:innen bei verschiede- mehr Patient:innen behandeln, bei denen Welche Faktoren können diese Lücken nen Krankheitsbildern eine ausschließlich eine Kombinationstherapie indiziert ist. erklären? Zum einen könnten die Anfor- pharmakologische Behandlung bevorzu- Dass unterschiedliche Krankheitsmo- derungen an die Berichte hinsichtlich des gen, Letztere häufiger eine ausschließlich delle, Wirkannahmen und Unsicherheiten Formats und der Inhalte dazu beitragen. psychotherapeutische Behandlung; eine eine Rolle spielen könnten, wird durch Die Berichte müssen sehr verdichtet ge- Kombinationstherapie wurde von beiden den Befund gestützt, dass es bezüglich schriebenwerden,undes könnte sein, dass Berufsgruppen ungefähr gleich häufig der Erwähnung von psychotherapeuti- Aspekte, die für die Beurteilung der Thera- gutgeheißen, jedoch unterschiedlich je schen Vorbehandlungen keine Hinweise pienotwendigkeit als nicht zentral angese- nachErkrankung(HeinzeundCortes2005). auf Unterschiede zwischen Ärztlichen und hen werden, deshalb ausgelassen werden. Für Europa konnte keine entsprechende Psychologischen Psychotherapeut:innen Weiterhin könnte das Selbstverständ- Studie gefunden werden. Es ist denkbar, gab. Insgesamt wurden im Rahmen der nis der Therapeut:innen inder Behandlung dass die in der Allgemeinbevölkerung vorliegenden Studie aber auch Defizite eine Rolle spielen, also die Frage, ob die vorhandene Skepsis gegenüber psycho- in der Erwähnungshäufigkeit relevanter Therapeut:innensichals verantwortlich für troper Medikation (Althaus et al. 2002; Informationen gefunden, beispielsweise die Gesamtbehandlung oder nur für die Angermeyer et al. 1993, 2017; Benkert zum zeitlichen Abstand seit der letzten angebotenePsychotherapie ansehen. Dies et al. 1997; Holzinger et al. 2011; Reavley Psychotherapie oder zum damals ange- würde auch andere Aspekte der Gesamt- et al. 2013; Zissi 2006) auch bei Psy- wendeten Verfahren. behandlung neben der medikamentösen chotherapeut:innen zu finden ist. Kritisch Die Ergebnisse der vorgestellten Stu- Therapie betreffen, z. B. bei schweren psy- gesehen werden v. a. die Nebenwirkungen die sollten im Licht ihrer Limitationen chischen Erkrankungen die Soziotherapie, der Medikamente, aber es werden auch interpretiert werden. Eine wesentliche Ergotherapie oder unterstützte Wohnfor- Zweifel an deren Nutzen geäußert, in dem Einschränkung besteht darin, dass die men (Becker et al. 2018). Man sollte sich Sinne, dass die Ursache der Erkrankung Passung von Diagnosen und Medikation dabei vor Augen halten, dass die Appro- nicht behandelt werden könne (Benkert dem Stand der gegenwärtigen Leitli- bation dazu verpflichtet, „die Grenzen des et al. 1997; Lim et al. 2016), was ja häufig nien entspricht. Die Berichte stammen eigenenWissensundKönnenszuerkennen auch der Fall ist. jedoch auch aus früheren Jahren, bei und danach zu handeln“ (Bundesärzte- Auch Unsicherheit bezüglich psycho- denen womöglich andere Empfehlungen ordnung, § 4[2], https://www.gesetze-im- troper Medikamente aufgrund von eher zutrafen. Zu vermuten ist jedoch, dass internet.de/b_o/__4.html). Insofern kön- wenigundoftnur theoretisch inderAusbil- dies nur einige der „Soll-nicht“-Einschät- nensichauchPsychotherapeut:innennicht dung vermitteltem Wissen dazu sowie die zungen betrifft, da eine medikamentöse dieser Verantwortung entziehen undmüs- daraus resultierende Vermeidung von Ver- Behandlung bei beispielsweise schweren sen andere Behandlungen mit im Blick ha- unsicherndem könnten eine Rolle spielen Depressionen oder bipolaren Störungen ben. (BMG 2016). Sowohl bezüglich der Krank- auch schon 2003, dem ersten Jahr der EinweiterermöglicherGrundfürdiesel- heitsmodelle und Wirkannahmen seitens eingeschlossenen Berichte, üblich war. tene Erwähnung könnte sein, dass die Me- der Therapeut:innen als auch bezüglich Zudem muss bedacht werden, dass eine dikamentenanamnese sowie die Vor- und ihres Wissens über Medikamente wäre Diagnose allein noch keine Indikation für Mitbehandlungen überhaupt gar nicht er- zu erwarten, dass Ärzt:innen häufiger als einekonkreteMedikationdarstellt. Zugroß hoben wurden. Das wäre, wenn es zu- Psycholog:innen Angaben zur Medikation ist das Spektrum individueller Dynamiken träfe, ein bedenklicher Umstand, da die machen, da sie mit den Medikamenten und Rahmenbedingungen pro Diagnose- Berücksichtigung dieser Aspekte auch für durch die Ausbildung vertrauter sind und kategorie (Maier et al. 2023), als dass eine dieaktuellePsychotherapieausdenbereits diese selbst verordnen dürfen. Tatsächlich Indikation in einem quasilinearen Wenn- genannten Gründen von hoher Relevanz bestätigte sich in der Studie, dass Ärztliche Diagnose-dann-Medikament-X-Bezug ge- ist. häufiger als Psychologische Psychothe- stellt werden könnte. Hinzu kommt, dass Außerdem könnte die geringe Anzahl rapeut:innen die Medikation in ihren auch die Validität von Diagnosen, die im der Nennungen durch die grundsätzliche Berichten erwähnten. Eine alternative Er- klinischen Alltag gegeben werden, nicht Haltung zum Einsatz von Psychophar- klärung für diesen Befund wäre, dass bei immer hoch ist. Neben möglichen Fehl- maka oder das für den Fall spezifisch Ärztlichen Psychotherapeut:innen häufi- einschätzungen können auch strategische angenommene und im Bericht entwickel- ger Patient:innen in Behandlung sind, die Überlegungen (z. B. Schutz des Patienten 6 Die Psychotherapie bzw. der Patientin vor Benachteiligung bei Ein sinnvoller nächster Schritt wäre lungsführung übernehmen, was einmal Versicherungen, erwartete Wahrschein- deshalb, Kenntnisse über und Einstel- mehr unterstreicht, warum diese sich mit lichkeit der [Nicht-]Befürwortung von lungen zu Psychopharmakotherapie, zur Medikation und nichtpsychotherapeu- Anträgen bei bestimmten Diagnosen etc.) Mitbehandlung durch andere Berufs- tischen Behandlungsformen auskennen eine Rolle spielen. Insofern können die gruppen (Psychiatrie, Allgemeinmedizin, sollten, selbst wenn sie diese nicht selbst durchgeführten Analysen nur Hinweise Ergotherapie, künstlerische Therapien, anbieten. auf mögliche Zusammenhänge in der Soziotherapie etc.) sowie zu Krankheits- klinischen Realität geben; sie stellen keine und Wirkmodellen bei den Psychothe- Fazit für die Praxis Beweise für oder gegen etwas dar. rapeut:innen direkt zu erfragen. In der 4 Die psychopharmakologische, psychiatri- Eine weitere Limitation besteht da- Aus-, Weiter- und Fortbildung sollte die sche bzw. psychosomatische und psycho- rin, dass nicht bekannt ist, wer von den Relevanz dieser Themen ebenfalls erörtert therapeutische Vor- und Mitbehandlung Ärztlichen Psychotherapeut:innen selbst werden. sollte in Berichten an den Gutachter im- Psychiater oder Psychiaterin ist. Diese Ein Hinweis auf mögliche Probleme mer erwähnt werden, selbst wenn keine entsprechende Behandlung erfolgt ist. würden keine ambulante psychiatrische der Versorgung könnte sein, dass eine 4 Die Gutachter:innen der Anträge könnten Mitbehandlung „nötig haben“ (es sei relevante Zahl von Patient:innen psycho- mehr darauf achten, dass diese Angaben denn, sie wollten die medikamentöse pharmakologische Medikamente erhielt, vollständig erbracht werden. von der psychotherapeutischen Behand- ohne in psychiatrischer Versorgung zu 4 In der Aus-, Weiter- und Fortbildung von lung getrennt halten) und dies deshalb sein – zumindest dem Bericht zufolge. Psychotherapeut:innen sollte die Rele- vanz dieser Themen stärker vermittelt vielleicht auch nicht für erwähnenswert Entsprechend der Leitlinie Unipolare De- werden. halten. Falls diese Annahme zuträfe, wäre pression ist dies auchnicht immernotwen- der Unterschied zwischen Ärzt:innen und dig, aber bei schweren oder chronischen Psycholog:innen in Wahrheit sogar noch Verläufen,Non-Responseoder längererAr- Korrespondenzadresse größer, als er sich in den Ergebnissen beitsunfähigkeit sollte eine psychiatrische darstellt. Versorgung erfolgen (Bundesärztekam- Prof. Dr. Susanne Singer Abteilung Epidemiologie und Versorgungsfor- Schließlich sollte berücksichtigt wer- mer et al. 2022). Die Befunde decken sich schung, Institut für Medizinische Biometrie, den, dass eine Nichterwähnung im Bericht mit Analysen von Krankenkassendaten, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), nicht zwangsläufig bedeutet, dass phar- die zeigten, dass etwa ein Drittel der Pa- Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg- makologische und psychiatrische Mitbe- tient:innen mit schwerer Depression und Universität Mainz handlungen in der Therapie nicht berück- die Hälfte mit psychotischer Depression 55101Mainz, Deutschland singers@uni-mainz.de sichtigt werden. Sie legt dies nur nahe. ausschließlich in hausärztlicher Behand- Träfe dies zu, wäre das ein bedenklicher lung war (Wiegand et al. 2016). Wenn die Umstand. Unabhängig davon, welche Ein- psychiatrische bzw. psychosomatische Be- stellung zur Psychopharmakotherapie ver- treuung fehlt, ist das Risiko einer nichtleit- Funding. Open Access funding enabled and organi- zed by Projekt DEAL. tretenwird, sollte bei der psychotherapeu- liniengerechten Pharmakotherapie oder tischen Behandlung bekannt sein und be- Kombinationstherapie bei Depressionen rücksichtigt werden, ob die Patient:innen erhöht (Melchior et al. 2014; Wiegand Einhaltung ethischer Richtlinien entsprechende Medikamente einnehmen et al. 2020). Gaebel et al. fanden, dass oder nicht. Dies ist einerseits wichtig, weil Patient:innen mit schweren Depressionen, Interessenkonflikt. S. Singer, L.Maier, J. Blanck undH.F.Wiegandgeben an, dass kein Interessenkonflikt die Versorgung psychisch Kranker, wie ein- die initial nur von Fachärzt:innen für All- besteht. gangs erwähnt, häufig eine gemeinschaft- gemeinmedizin oder von Fachdisziplinen liche Aufgabe verschiedener Berufsgrup- der somatischen Medizin behandelt wur- Für diesenBeitragwurden vondenAutor/-innenSekundärdaten verwendet. Die zuständige Ethikkom- pen ist und dies in der eigenen Behand- den, die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass missionder Landesärztekammer Rheinland-Pfalz lungsplanung berücksichtigt werden soll- sie anschließend nicht zu einem „mental erteilte ihr zustimmendes VotumzuBeginnder Studie te, andererseits weil die EinnahmeundGa- health care professional“ wechseln (Gae- (# 2018-13221). be von Medikamenten die therapeutische bel et al. 2013). Auch dort besteht also Open Access.Dieser Artikelwird unter der Creative Beziehung verändern können (Küchenhoff eine gewisse Gefahr der „Selbstisolation“ CommonsNamensnennung4.0 International Lizenz 2010). Auch für die Gutachten selbst ist die der Fächer (Singer 2023). Im Sinne der veröffentlicht, welche dieNutzung, Vervielfältigung,Bearbeitung, VerbreitungundWiedergabe in jegli- Angabe der Medikation sowie der Art und Patient:innen wäre es wünschenswert, chemMediumundFormat erlaubt, sofern Sie den/die des Umfangs von Vor- und Mitbehandlun- aus diesem Inseldenken herauszukom- ursprünglichenAutor(en)unddieQuelle ordnungsge- genwichtig, da sich hierausmöglicherwei- men und sich gemeinschaftlich um deren mäßnennen, einen Link zur Creative Commons Lizenzbeifügenundangeben, obÄnderungen vorgenom- se weitere Hinweise auf die Schwere der Versorgung zu kümmern. Diesem Wandel menwurden. psychischen Erkrankung sowie die Prog- hin zu kooperierenden Netzwerken in der nose der Psychotherapie ableiten lassen, ambulanten Versorgung trägt auch die Die in diesemArtikel enthaltenenBilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten die für die Entscheidungsfindung der Be- neue Komplexrichtlinie Rechnung (G-BA Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil- gutachtenden hoch relevant sind. 2021). Hierbei können auch Psychologi- dungslegendenichts anderes ergibt. Sofern das be- sche Psychotherapeut:innen die Behand- treffendeMaterial nicht unter der genanntenCreative Die Psychotherapie 7 Abstract Commons Lizenz steht unddie betreffendeHandlung nicht nachgesetzlichenVorschriften erlaubt ist, ist für Indicators of treatment coordination in psychotherapy reports die oben aufgeführtenWeiterverwendungendesMa- terials die Einwilligungdes jeweiligen Rechteinhabers Objective: This study investigated how often psychopharmacological and psychiatric einzuholen. treatment (concurrent or previous) is mentioned in psychotherapy reports to an expert when applying for financial reimbursement of psychotherapy. WeitereDetails zur Lizenz entnehmenSie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ Method: Out of a random sample of 1000 reports, all first applications were selected. licenses/by/4.0/deed.de. Data on diagnoses, previous or concurrent treatment were extracted from the texts and forms. The proportion of mentions was compared between psychologists and physicians and between patients with different indications for medication according to Literatur the current guidelines using χ2-tests and multivariate logistic regression. Alpers GW, Bandelow B, Beutel M et al (2021) S3- Results: Medication was not mentioned in 61% of the 629 applications. Physicians Leitlinie Behandlung von Angststörungen. mentioned it more often than psychologists (46% vs. 34%, adjusted odds ratio [OR] 1.6; AWMF,Berlin p= 0.003). In reports for patients who should receive medication according to the AlthausD, Stefanek J,Hasford Jet al (2002)Knowledge guidelines, it was mentioned more often (OR 2.1; p= 0.01). Similarly, outpatient andattitudes of the general population towards symptoms, causes, and treatment of depressive psychiatric treatment was mentioned more often by physicians than by psychologists disorders.Nervenarzt73:659–664 (44% vs. 35%; OR 1.5; p= 0.02). Angermeyer MC, Daumer R, Matschinger H (1993) Conclusion: Psychiatric and psychopharmacological concurrent and previous Benefits and risks of psychotropic medication treatment often go unnoticed in psychotherapy reports. It should be stressed by in the eyes of the general public—results of a survey in the Federal Republic of Germany. reviewers and during clinical training that this will improve in the future. Pharmacopsychiatry26:114–120 Angermeyer MC, Matschinger H, Schomerus G (2017) Keywords 50thanniversaryofpsychiatric attitude research Psychopharmacotherapy · Psychotherapy · Psychiatric treatment · Physicians · Psychotherapists inGermany.PsychiatPrax44:377–392 Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereini- gung, Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (2022) Natio- pension insurance scheme. 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